Linz0Nein

Linz0Nein

von Thomas Philipp

Bei der Entwicklung des Programms von Linz09 kam es zu heftigen Dissonanzen. So fühlte sich das Theater Phönix nicht als gleichwertiger Partner behandelt und brach am 22. Februar 2008 die Verhandlungen mit Linz09 ab. Bereits in den Monaten zuvor waren immer wieder Unstimmigkeiten zwischen den beiden Institutionen an die Öffentlichkeit geraten. In den Nachrichten wurde die endgültige Trennung folgender maßen erläutert:

"'Sämtliche Projekteinreichungen sind ohne inhaltliche Auseinandersetzung lapidar abgelehnt worden', kritisierte der künstlerische Leiter Harald Gebhartl am Dienstag in Linz. Nach ausführlichen Diskussionen bleibe der Eindruck, das Kulturhauptstadt-Team sei ausschließlich an den Räumlichkeiten und Ressourcen des Theaters interessiert. Intendant Martin Heller bedauert die Absage: 'Das ist eine verpasste Chance für beiden Seiten', betonte er."
(ORF Online und Teletext GmbH & Co KG 2008)

    Gerüchte, wonach Airan Berg, künstlerischer Leiter für darstellende Kunst bei Linz09, dem Ensemble des Theater Phönix vorgeschlagen hätte, bei Workshops in Madagaskar zu verweilen, während die eigene Spielstätte von Linz09 programmiert wurde, wurden von beiden Seiten nicht bestätigt. Während eingereichte Projektideen wie "River.Side", ein interkulturelles Austauschprojekt, bei dem sich sechs Theater in sechs Städten mit dem Donauraum auseinandersetzen sollten, nicht umgesetzt wurden, realisierte das Theater Phönix unabhängig von Linz09 ein kritisches Theaterstück zur Kulturhauptstadt. In dem realsatirischen Auftragswerk "Der Zwerg ruft" des österreichischen Regisseurs Kurt Palm wurden Schneewittchen und Adolf Hitler in der Linzer Grottenbahn wieder zum Leben erweckt und vom umtriebigen Kulturmanager Retro Dunkler beinahe für die Eröffnung des Kulturhauptstadtjahres vereinnahmt.

    Im April 2008 wandte sich die Freie Kunst- und Kulturszene mit einer Stellungnahme unter dem Titel "Maschine brennt" an die Öffentlichkeit. Darin war zu lesen:

"Linz geht mit großen Schritten dem Kulturhauptstadtjahr 2009 entgegen. Die zu erwartende positive Stimmung vor dem Kulturhauptstadtjahr läßt sich allerdings nicht bei der Politik und noch viel weniger bei den Linzer Kunst- und Kulturschaffenden vorfinden. Linz09 läuft aus dem Ruder, die Stimmung ist gekippt. Insbesonders im Feld freier Kunst- und Kulturarbeit tritt die Skepsis und auch Ablehnung mittlerweile deutlich zu Tage."
(Offenes Forum Freie Szene 2008)

    Von den rund 30 Einrichtungen und Initiativen wurde und wird die fehlende Einbindung der lokalen Kunst- und Kulturszene kritisiert und die Befürchtung geäußert, dass Linz09 kein strukturell nachhaltiges Stadtentwicklungsprojekt werden könnte. Die gestellten Forderungen (budgetäre Absicherungen, Erhöhung von Förderprogrammen, …) richteten sich nicht an die Intendanz von Linz09, sondern an die politischen EntscheidungsträgerInnen der Stadt, denen vorgeworfen wurde, ihre Verantwortung nicht ernst genug zu nehmen.

    Nur kurze Zeit später, am 28. Juni 2008, wurde die Aufführung der Oper "Montezuma, Fallender Adler" von Bernhard Lang abgesagt. Lang erläutert in einem Interview die Hintergründe der Absage aus seiner Sicht:

"Ich schlug das Projekt mit einer recht genauen Beschreibung des Umfangs und der Besetzung in einer Sitzung 2006 Martin Heller, Ulrich Fuchs […] und Peter Androsch vor, die zunächst sehr begeistert waren. […] Androsch leitete meine Vertragserstellung rasch ein, der Abschluss erfolgte am 6. 11. 2006. In weiterer Folge übergab Androsch das Projekt an Wolfgang Winkler [Anm.: Direktor des Brucknerhauses]. Von da an bewegte sich, trotz unserer dauernden Urgenz, bis Frühjahr 2008 nur wenig. […] Das Klangforum Wien übermittelte die Gagenvorschläge bereits im Frühjahr 2007 an Winkler, doch blieben Nachfragen unbeantwortet, Androsch fühlte sich 'nicht mehr zuständig' […] Außer losen Anfragen an die Interpreten gab es kein Interesse bzw. irgendeine Kommunikation mit dem Leading Team von Montezuma - bis zum Mai 2008. Winkler addierte jetzt die unverhandelten Rohvorschläge erstmals auf und stellte fest, dass das Projekt zu teuer wäre […] Nachdem am 19. Mai 08 das Ganze noch im offiziellen Programmbuch angekündigt und publiziert worden war, erfolgte kurz darauf die Absage."
(Fellinger 2009)

    Die offizielle Begründung: zu hohe finanzielle Forderungen. Das beteiligte Klangforum Wien widersprach dieser Darstellung, Rettungsversuche in den Folgemonaten, die ein geringeres Budget vorsahen, verliefen erfolglos. Das Klangforum kündigte zudem eine Feststellungsklage an, da die Aufführungsrechte von Linz09 behindert würden. Im Mai 2009 wurde verlautbart, dass sich das Klangforum Wien und der Direktor des Brucknerhauses, Wolfgang Winkler, auf Verhandlungen über Kompensationskonzerte im Brucknerhaus einigte. Eine eventuelle finanzielle Beteiligung von Linz09 an diesen stünde noch in Frage. (vgl. Oberösterreichische Nachrichten 2009)

    Im September 2008 zog die Migrantinneninitiative maiz ihr Projekt "Linz in Torten" zurück. Begründet wurde dies mit der langen Hinhaltetaktik und unzumutbaren Forderungen:

"maiz ist damit konfrontiert, dass mitten im Projektverlauf
unzumutbare Forderungen gestellt werden: Von 'Gewinnorientierung und -beteiligung' ist plötzlich die Rede. Das Gastronomiekonzept, das im Februar 2008 noch vom Linz09-eigenen Experten abgesegnet wurde, ist auf einmal unzulänglich. Die im Konzept vorgesehene und mit der Projektzusage akzeptierte Infrastrukturförderung wird in den Bereich der 'eventuellen Möglichkeit' gerückt und - falls sie überhaupt ausgezahlt wird - mit einer nicht näher definierten Forderung nach Teilrückzahlung verknüpft. Eine 'Garantie auf Nachhaltigkeit' im Jahr 2010 und darüber hinaus wird neuerdings als zukünftiger Vertragsbestandteil angekündigt."
(maiz - Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen 2008)

    Ulrich Fuchs, stellvertretender Intendant von Linz09, warf maiz eine unprofessionelle Projektvorbereitung vor: fehlende Professionalität, eine "Vollkasko-Mentalität" und ein inadäquates Konzept für Lokalität und Gastronomie. (vgl. Die Presse Digital GmbH & Co KG 2008)

    Kurz darauf fiel "TwixtVille" des Linzer Kunstkollektivs Time's Up. Bei dem Projekt sollte eine interaktive, mediale Großrauminstallation auf einer Fläche von rund 2.000 Quadratmeter realisiert werden, die eine Mixtur aus Wohn-, Arbeits- und Erholungsraum vereinen sollte. Geplant waren u. a. eine Vielzahl an Symposien, Workshops, Festivals und Parties. In einer Erklärung von Linz09 wurde auf das Scheitern des Projektes hingewiesen:

"30 Monate wurde an dem Projekt gearbeitet. Diesen Herbst entschieden Time's Up und Linz09 wohlüberlegt, die Arbeiten für TwixtVille definitiv einzustellen. Der Grund dafür war, dass trotz intensivster Bemühungen in der wirtschaftlich äußerst dynamischen Stadt Linz kein geeigneter industrieller Leerstand als Spielort aufzufinden war."
(Linz 2009 - Kulturhauptstadt Europas OrganisationsGmbH)

    Ende Februar 2009 präsentierte schließlich die Initiative "linz0nein" ein Programmbuch 4/3 der abgelehnten und zurückgezogenen Projekte. In ihm sind 75 Projektideen vereint, die nicht Teil von Linz09 werden konnten. Robert Hinterleitner, Initiator des Programmbuchs 4/3, erklärte das Interesse an dem Projekt damit, das "[…] alternative Potential an Ideen für das Kulturhauptstadtjahr [aufzuzeigen]; darüber hinaus aber auch die reizvolle Möglichkeit der Gegenüberstellung von abgelehnten und angenommenen Projekten, ebenso wie die Frage nach dem Kontext der Absagen." (Hinterleitner 2009)



Die Presse Digital GmbH & Co KG, Linz: Wieder Unmut um gekipptes Projekt in Kulturhauptstadt '09, 2. September 2008, Wien 2008,
abrufbar unter http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/410652/index.do?from=sima..., Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

Fellinger, Andreas (Hrsg.), Respektlos, zynisch, unprofessionell, freiStil #023, Magazin für Musik und Umgebung, Februar 2009, Wels 2009,
abrufbar unter http://www.freie-medien.at/node/137, Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

Hinterleitner, Robert, Das Programmbuch 4/3, o.O. o.J., http://www.linz0nein.org/de/welcome, Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

Linz 2009 - Kulturhauptstadt Europas OrganisationsGmbH, Kopfstand09: TwixtVille - Eine Stadt, die zwar geplant, aber nie gebaut wurde, 18. November 2008, Linz 2008,
abrufbar unter http://www.linz09.at/de/kulturhauptstadt/news/archiv/artikel/2130103/twi..., Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

maiz - Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen, Linz'09 im Kaufrausch, Linz 2008,
abrufbar unter http://www.maiz.at/index.php?id=126, Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

Offenes Forum Freie Szene, Maschine brennt, Linz 2008,
abrufbar unter http://www.servus.at/FREIE-SZENE/main/maschinebrennt09.html, Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

OÖNachrichten, Wer bezahlt die Kompensation?, 8. Mai 2009, Linz 2009,
abrufbar unter http://www.nachrichten.at/nachrichten/kultur/linz09/art470,172743, Zugriffsdatum: 11. Mai 2009

ORF Online und Teletext GmbH & Co KG 2005, Linz09: Absage des Theater Phönix, 31. Mai 2008, Wien 2008,
abrufbar unter http://ooe.orf.at/magazin/treffpunkt/kultur/stories/259619/, Zugriffsdatum: 11. Mai 2009