Ein einsamer Wettbewerb

Ein einsamer Wettbewerb

von Thomas Philipp

Im ersten Artikel des Beschlusses 1419/1999/EG des Europäischen Parlaments und des Rates heißt es:

"Es wird eine Gemeinschaftsaktion 'Kulturhauptstadt Europas' eingerichtet. Mit dieser Aktion wird das Ziel verfolgt, den Reichtum und die Vielfalt sowie die Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen herauszustellen und einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Bürger Europas füreinander zu leisten."
(Beschluss 1419/1999/EG)

    Im Zuge dieses Beschlusses wurden Planungs- und Evaluierungskriterien für die "Europäische Kulturhauptstadt“ erstellt, die verschiedene Dimensionen umfassen. Neben künstlerischen und kulturellen Kriterien (z. B. Präsentation von künstlerischen Disziplinen, Durchführung künstlerischer Darbietungen, Verbesserung der Kulturförderung, Förderung von Innovationen im Kunstbereich, Stärkung des Dialogs zwischen den europäischen Kulturen etc.) werden auch sozialer Zusammenhalt, Förderung der Wirtschaftstätigkeit und die Entwicklung eines hochwertigen Kulturtourismus genannt. (vgl. ebd.)

    Bis 2004 wurden die Kulturstädte Europas von den EU-Mitgliedstaaten gewählt. Im zuvor genannten Beschluss wurde dieses Wahlsystem revidiert und ein Rotationssystem für die Benennung eingerichtet, wodurch gewährleistet werden sollte, dass in regelmäßigen Zeitabständen eine Stadt aus jedem Mitgliedstaat benannt wird:

"Ein überschaubares, kohärentes und transparentes Rotationssystem lässt sich am ehesten durch die Beschränkung auf nur einen Beschluss einrichten, in dem die Reihenfolge der die Veranstaltung ausrichtenden Mitgliedstaaten festgelegt wird."
(ebd.)

    Nach der EU-Erweiterung 2004 wurde auch den neuen Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben, im Rahmen der Veranstaltung "Kulturhauptstadt Europas" Städte zu benennen. Aus diesem Grund wurde im Beschluss Nr. 649/2005/EG des Europäischen Parlaments und Rates ein Turnus festgelegt, wonach bis einschließlich 2008 jeweils eine Stadt aus einer vorgegebenen Liste eine "Kulturhauptstadt Europas" ernennen durfte. Ab 2009 wurde bzw. wird der Titel an jeweils zwei Mitgliedstaaten vergeben.(vgl. Beschluss Nr. 649/2005/EG) Durch das Rotationsprinzip sollte der Wettbewerb zwischen den Staaten abgeschwächt werden. Ausgeschlossen wurde durch den automatischen Turnus jedoch auch die Möglichkeit, der europaweit "Besten" unter den Bewerberstädten den Zuschlag zu erteilen. (vgl. Deventer 2004, S.41 ff.)

    Das Auswahlverfahren zur Europäischen Kulturhauptstadt gliedert sich in vier Phasen:(vgl. Europäische Gemeinschaften 2009)

  • Die ausgewählten Mitgliedstaaten veröffentlichen spätestens sechs Jahre vor dem Kulturhauptstadtjahr eine Aufforderung zur Einreichung der Bewerbungen. Von diesem Tag an haben die Städte zehn Monate Zeit, um ihre Bewerbung vorzulegen.
  • Etwa fünf Jahre vor Beginn des Projektes wird eine Jury einberufen, welche aus dreizehn ExpertInnen besteht. Sieben davon werden vom Europäischen Parlament, vom Europäischen Rat, von der Europäischen Kommission und vom Ausschuss der Länder ernannt. Die restlichen sechs Mitglieder werden vom betreffenden Mitgliedstaat benannt. Die Jury prüft die Bewerbungen und stellt eine Auswahlliste der Städte auf.
  • Neun Monate nach dem ersten Auswahlverfahren kommt die Jury erneut zusammen, um die detaillierten Programme der einzelnen Bewerberstädte zu beurteilen. Der Europäischen Kommission wird ein Bericht vorgelegt, in dem eine Stadt als "Kulturhauptstadt Europas" vorgeschlagen wird.
  • Vier Jahre vor Beginn legt jeder betreffende Mitgliedstaat der EU, unter Berücksichtigung der von der Jury ausgesprochenen Empfehlungen, die Bewerbung einer Stadt vor. Der Europäische Rat ernennt zwei Städte offiziell zur "Kulturhauptstadt Europas".

    Zwei Jahre vor dem Kulturhauptstadtjahr kommt es zu einer Halbzeitüberprüfung durch die ExpertInnen, wobei besonders darauf geachtet wird, dass das Programm einen Mehrwert für die Stadt bringt. Spätestens sechs Monate vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres kommt es zur abschließenden Überprüfung. Die ExpertInnen bewerten die bis dahin getätigten Vorbereitungen und legen der Europäischen Kommission die Ergebnisse in einem Bericht vor. (vgl. ebd.)

    Für das Jahr 2009 wurden Litauen und Österreich als austragende Länder der Europäischen Kulturhauptstadt festgelegt. Zu Beginn des Bewerbungsprozesses standen für Österreich neben Linz auch St. Pölten/Krems, Klagenfurt und Innsbruck zur Diskussion. Diese Städte entschieden sich jedoch gegen eine Bewerbung. Damit war der Weg für Linz frei - ohne dem sonst üblichen nationalen Wettbewerb. In Deutschland kämpften beispielsweise 16 Städte um die Austragung der Kulturhauptstadt im Jahr 2010. Die Wahl fiel dort schlussendlich auf Essen und das Ruhrgebiet.

    Am 1. Juli 2004 bewarb sich Linz offiziell mit dem Thema "Linz - Labor der Zukunft". In der am selben Tag statt findenden Gemeinderatssitzung erfolgte auch die Grundsatzgenehmigung des Linzer Gemeinderats zur Bewerbung der Stadt Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009 inklusive der Zurverfügungstellung von Ressourcen in Höhe von 20 Millionen Euro, die in den Jahren 2005 bis 2010 budgetwirksam werden. Dazu wurde im Mai 2004 ein 115 Seiten umfassendes zweiteiliges Bewerbungspapier präsentiert, indem sich Linz als moderne europäische Industrie- und Kulturstadt darstellt. Die Hauptbeiträge wurden vom Journalisten Franz Schwabeneder, vom Kulturwissenschaftler Thomas Macho (Humboldt-Universität Berlin, Kunstuniversität Linz) und dem Rektor der Linzer Kunstuniversität, Reinhard Kannonier, verfasst. Die Bewerbungsunterlagen wurden am 13. September 2004 durch eine Delegation (Landeshauptmann Pühringer, Bürgermeister Dobusch und Vizebürgermeister Watzl) offiziell an den damaligen Staatssekretär Franz Morak übergeben.

    In der Gemeinderatssitzung am 10. März 2005 wurde die Gründung der Gesellschaft "Linz 2009 - Kulturhauptstadt Europas Organisations GmbH" mit Kulturreferent Vizebürgermeister Erich Watzl als Aufsichtsratsvorsitzenden beschlossen. Einen Monat später, am 14. April 2005, erfolgte unter der Leitung von Vizebürgermeister Watzl die Präsentation des Kulturhauptstadt-Konzeptes vor einer Auswahljury in Brüssel entlang folgender Schwerpunkte: (vgl. Stadt Linz 2004)

  • Labor der Zukunft - Creating the Future: Europäische Zukunftsstadt
  • Die Donau - The Nexus of Culture: Europäische Stadt an der Donau
  • Harmonices Mundi - The Power of Knowledge: Europäische Industrie- und Technologiestadt
  • Welt der Zeichen - The Culture of Media: Europäische Stadt der Medienkultur
  • In 80 Tage um die Welt - Mapping Europe: Stadt europäischer Netzwerke
  • Menschen der Region - L'esprit de l'europe: Europäisches Portal zur Region
  • Offene Stadt - Open Minds: Kultur als europäische Werthaltung

    Die Präsentation verlief erfolgreich. Die europäischen Kulturminister ernannten Linz am 14. November 2005 zur Europäischen Kulturhauptstadt - neben Vilnius in Litauen.

    Ein Wettbewerb fand im Gegensatz zur österreichischen Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2009 bei der Besetzung der künstlerischen Intendanz statt. Am 14. Juli 2005 wurde bekannt gegeben, dass sich der Schweizer Kurator und Kulturunternehmer Martin Heller unter 42 Personen in einem Auswahlverfahren durchsetzen konnte. In die engere Auswahl kamen u. a. der Linzer Komponist und Kulturmanager Klaus Pruenster, die britische Kuratorin und Journalistin Francesca Ferguson und der Linzer Künstler und Kulturmanager Werner Pfeffer. Die Entscheidung für Heller sei, so Bürgermeister Dobusch, jedoch eindeutig gewesen:

"Ich glaube, wir haben den besten genommen, mit großer internationaler Erfahrung, mit Erfahrung bei der Abwicklung von Großprojekten und auch mit einem Einfühlungsvermögen für regionale Bedürfnisse."
(ORF Online und Teletext GmbH & Co KG 2005)

    Zum kaufmännischen Leiter von Linz09 wurde der Linzer Walter Putschögl, kaufmännischer Direktor des OÖ Tourismus, bestellt.



Deventer, Kathrin (Hrsg.), Die EU und die Kulturhauptstadt Europas, Ein kulturpolitischen Gemeinschaftsprogramm zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Amsterdam 2004,
abrufbar unter http://www.eccm-cultural-capitals.org/documents/Diplomarbeit%20K.M.Deven..., Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

Europäische Gemeinschaften 2009, Kulturhauptstadt Europas, Tätigkeitsbereiche der Europäischen Union, Zusammenfassung der Gesetzgebung,
abrufbar unter http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l29014.htm, Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

Europäisches Parlament und Rat, Beschluss 1419/1999/EG des Europäischen Parlamentes und Rates vom 25. Mai 1999 über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung "Kulturhauptstadt Europas" für die Jahre 2005 bis 2019, Brüssel 1999,
abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1999:166:0001..., Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

Europäisches Parlament und Rat, Beschluss Nr. 649/2005/EG des Europäischen Parlamentes und Rates vom 13. April 2005 zur Änderung des Beschlusses Nr. 1419/1999/EG über die Einrichtung einer Gemeinschaftsaktion zur Förderung der Veranstaltung "Kulturhauptstadt Europas" für die Jahre 2005 bis 2019, Brüssel 2005,
abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:117:0020..., Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

ORF Online und Teletext GmbH & Co KG, Kulturhauptstadt: Martin Heller wird Intendant, 15. Juli 2005, Wien 2005,
abrufbar unter http://ooe.orf.at/stories/45643/, Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

Stadt Linz (Hrsg.), Linz 2009. Bewerbung Kulturhauptstadt Europas, Präsentation vor der Auswahljury für das Jahr 2009, Linz 2005,
abrufbar unter http://www.linz09.at/sixcms/media.php3669/Linz2009Bruessel.pdf, Zugriffsdatum: 5. Mai 2009