Chemie, Langeweile, Drogen

Chemie, Langeweile, Drogen

von Thomas Philipp
Der deutsche Gangster-Rapper Bushido, mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Yousef Ferchichi, befand sich Ende Juli 2005 mehrere Wochen in Linz. Zusammen mit den beiden Linzer Hip-Hop-Rappern und Produzenten DJ Stickle und Chakuza (Beatlefield Productions), die er kurz vorher kennen gelernt hatte, sollte in deren Studio sein neues Album "Staatsfeind Nr. 1" produziert werden.

    Während seines Aufenthalts kam es allerdings zu einem folgenreichen Zwischenfall. DJ Stickle war eingeladen, am 30. Juli 2005 im Kulturverein KAPU Platten aufzulegen. Bushido beschreibt in seiner im Jahr 2008 erschienenen Biografie die ersten Stunden in der KAPU:

"Zu fünft fuhren wir also in meinem 7er zum Club. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis ich feststellte, dass Chakuza recht hatte. Der Laden war ein richtig ekelhafter Assi-Schuppen, dreckig, versifft, mit komischen Menschen und schlechter Musik. Ein richtiger Abfuck, aber egal. Wir beschwerten uns nicht, schließlich hatten wir ja alle vorher gewusst, was uns erwartete. […] Ziemlich schnell klärte ich zwei Weiber und meine Laune wurde von Minute zu Minute besser. Als der Clubbesitzer uns dann auch noch ein Zimmer zur Verfügung stellte, war für mich der Abend sowieso schon gelaufen. Im positiven Sinne. Ziel erreicht! Wir gingen in die zweite Etage des Clubs, wo es mehrere Räume mit Betten gab, also perfekt für solche Typen wie mich, die zwischendurch mal schnell einen wegparken wollen. Der Besitzer zeigte mir sein 'bestes Zimmer', wie er mehrfach betonte, deutete auf das Bett in der Ecke und sagte stolz: 'Da hat schon Kurt Cobain drin geschlafen, als er vor vielen, vielen Jahren mit Nirvana hier auftrat. In meinem Club!'"
(Bushido 2008, S. 162)

    Mitten im Liebesakt wurde Bushido von einem seiner Begleiter unsanft hochgeschreckt: "Bushido, die machen gerade dein Auto kaputt!" (ebd.) Bei seinem BMW am Parkplatz angekommen, bemerkte Bushido, dass die Reifen zerstochen waren. Er verdächtigte daraufhin den 20-jährigen Linzer Dominik P., da er sah, wie dieser etwas in seine Tasche eingesteckt hatte. Zwischen den beiden und den Begleitern kam es zu einer Schlägerei. Zwei Tage später klagte der junge Linzer über starke Kopfschmerzen und wurde in die Landesnervenklinik Wagner-Jauregg eingeliefert. Dort diagnostizierte man ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Gehirnblutung und verlegte ihn auf die Intensivstation. (vgl. ORF Online und Teletext GmbH & Co KG 2005a)

    Die Polizei verhaftete daraufhin Bushido am 3. August 2005 und brachte ihn in Untersuchungshaft. Gegen den Rapper wurde von der Staatsanwaltschaft wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung ermittelt. Nach 15 Tagen in Untersuchungshaft wurde er gegen 100.000 Euro Kaution frei gelassen. Zusätzlich musste er bis zur Hauptverhandlung eine feste Wohnsitzadresse in Linz angeben (er gab jene von Chakuza an) und erhielt eine Weisung, an einer Anti-Aggressionstherapie teilzunehmen. (vgl. ORF Online und Teletext GmbH & Co KG 2005b, Bushido 2008, S. 185)

    Am 4. November 2005 kam es am Landesgericht Linz zur Hauptverhandlung. Der Prozess endete mit einer Diversion, bei der sich der Rapper bereit erklärte, die Verantwortung für die Schlägerei zu übernehmen. Die Kaution erhielt Bushido bis auf 20.000 Euro wieder zurück, das Opfer erhielt ein Teilschmerzensgeld in der Höhe von 1.000 Euro. (vgl. ORF Online und Teletext GmbH & Co KG 2005c) Am Tag der Verhandlung erschien auch Bushidos aktuelles Album "Staatsfeind Nr. 1" auf seinem eigenen Label "ersguterjunge". Das Album erreichte als höchste Platzierung in den deutschen Albencharts Platz 4 (in Österreich: Platz 13) und blieb insgesamt 18 Wochen in den Top 100 (in Österreich: 4 Wochen in den Top 75). Außerdem erhielt Bushido für das Album eine Goldene Schallplatte (mindestens 100.000 verkaufte Einheiten).

    Mehr Aufregung als der Prozess selbst löste in Linz allerdings eine Begleitgeschichte aus, die im renommierten deutschen Magazin "Der Spiegel" am 7. November 2005 veröffentlicht wurde. Der dort schreibende Journalist Wolfgang Höbel schrieb in einem Artikel unter dem Titel "Hart wie Nutella":

"Bushido schildert die Ereignisse jener Julinacht aus seiner Sicht. Arbeit im Tonstudio. Anschließend aus dem Luxushotel in die Disco. Eigentlich geht man nicht nach Linz in die Disco. Eigentlich geht man überhaupt nicht nach Linz. Linz ist der Arsch der Welt: Chemie, Langeweile, Drogen. Womit man wiederum natürlich nach Linz muss, wenn man im Rap-Geschäft ist, also in die Ghetto-Stadt Österreichs, das Härteste, was Österreich zu bieten hat."
(Höbel 2005)

    Der Artikel löste in den lokalen Medien, bei den Verantwortlichen in Politik und Tourismus, in verschiedenen Blogs und bei einem Teil der Bevölkerung einen Aufschrei der Empörung aus. Nach einem Bericht in den Oberösterreichischen Nachrichten am 8. November 2005 meldete sich der damalige Linzer Tourismusdirektor Andreas Kastler zu Wort: "Es ist wirklich nicht erfreulich, sondern recht ärgerlich, so etwas lesen zu müssen. Wir werden auf jeden Fall versuchen, dies nicht in der Form im Raum stehen zu lassen."(OÖNachrichten 2005a, S. 23)Bürgermeister Dobusch sah den Artikel zu diesem Zeitpunkt hingegen gelassener und wollte ihn nicht überbewerten. Er merkte allerdings an, dass der journalistische Stil eines Magazins wie dem "Spiegel" unwürdig ist. (vgl. ebd.) Ähnlich wurde in Leserbriefen reagiert:

"Im 'Spiegel' fühlt sich der Autor Höbel bemüßigt, die Stadt Linz/Donau nach seinem Empfinden oder nach dem des Rappers Bushido (geht nicht ganz klar aus dem Elaborat hervor) als Arsch der Welt etc. zu bezeichnen. Eine derartige unqualifizierte Aussage ist einer Qualitätszeitschrift wie der 'Spiegel' es ist, nicht würdig. Linz ist Musterbeispiel einer Stadt, der es gelungen ist, Industrie, Kultur und Umwelt zu einer lebens- und liebenswerten Symbiose zu vereinen. Ein bedauerlicher Artikel!"
(OÖNachrichten 2005b, S. 6)

    Auch in den Fernsehnachrichten wurde über das Ereignis berichtet. Die "Austria Top News" auf Pro7 brachten einen Beitrag unter dem Titel "Ist Linz Arsch der Welt?", der mit folgender Einführung begann: "In Linz beginnt's, dort stinkt's. Jetzt sagt Möchtegern-Gangster-Rapper sogar, Linz ist der Arsch der Welt."(Austria Top News 2005) Auf der Straße interviewte Personen widersprachen dieser Zuschreibung. Im Abspann des Beitrags wurden einzelne Sehenswürdigkeiten der Stadt ins Bild gerückt (der barocke Hauptplatz, die steile Pöstlingbergbahn, das weltbekannte Ars Electronica Center), zum Ende hin allerdings mit einer sarkastischen Beifügung der neuen Straßenbahn gebrochen: "[…] und der beste Beweis, dass Linz eine absolute Weltmetropole ist, ist die Straßenbahn, von Einheimischen liebevoll 'Mini-U-Bahn' genannt." (ebd.)

    Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass das im Spiegel angeführte Interview mit Bushido frei erfunden war. Die Kronen Zeitung titelte dazu: "Der Linz-Beschimpfer gesteht: Rapper-Interview ist erfunden!" (vgl. Neue Kronen Zeitung 2005, S. 12) Bushido selbst meinte dazu, dass er ein Fan von Österreich sei und gerne wiederkommen würde. (vgl. OÖNachrichten 2005a, S. 23, Neue Kronen Zeitung 2005, S. 12) In verschiedenen Blogs, Online-Foren und alternativen Medien wurde über das wiederaufgebrachte Provinzimage der oberösterreichischen Landeshauptstadt noch länger diskutiert. Es kam dabei u. a. zu Abstimmungen, welcher Ort in Österreich hinter Linz auf Nummer 2 der Ghetto-Liste liegt. (vgl. CHiLLi.cc 2005) Auch auf anderer Ebene wurde das Thema kurzfristig aufgegriffen. Das Linzer KünstlerInnenkollektiv qujOchÖ produzierte einen kurzen Clip, in dem Stadtvater Dobuschido den Skandalrapper Bushido aus Linz vertreibt. (vgl. qujOchÖ 2005)



Austria Top News, Ist Linz Arsch der Welt?, Pro7, 9. November 2005

Bushido, Bushido, riva Verlag, Berlin 2008

CHiLLi.cc, Kommt Karl Moik vom Arsch der Welt oder wieviel Ghetto steckt in Linz?, 15. November 2005,
abrufbar unter http://www.chilli.or.at/index.php?id=54-1-276, Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

Höbel, Wolfgang, Hart wie Nutella, Der Spiegel, 7. November 2005,
abrufbar unter http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=42983353&aref=image0..., Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

Neue Kronen Zeitung, Der Linz-Beschimpfer gesteht: Rapper-Interview ist erfunden!, 10. November 2005, S. 12

Oberösterreichische Nachrichten, Musterbeispiel, Leserbrief von Erich Ottenschläger, 11. November 2005, Linz 2005b, S. 6,
abrufbar unter http://www.nachrichten.at/dcarchiv/index.php?query=-shlyc:client/ooen/oo..., Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

OÖNachrichten, Linz als 'Arsch der Welt': Dobusch sieht Spiegel-Beschimpfung gelassen, 9. November 2005, Linz 2005a, S. 23,
abrufbar unter http://www.nachrichten.at/dcarchiv/index.php?query=-shlyc:client/ooen/oo..., Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

ORF Online und Teletext GmbH & Co KG, Bushido-Enthaftung verzögert sich,
abrufbar unter http://oesterreich.orf.at/ooe/stories/52458, 18. August 2005, Wien 2005b, Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

ORF Online und Teletext GmbH & Co KG, Deutscher Rapper in Linz verhaftet, abrufbar unter
http://oesterreich.orf.at/ooe/stories/50122, 6. August 2005, Wien 2005a, Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

ORF Online und Teletext GmbH & Co KG, Urteil im Prozess gegen Bushido, 4. November 2005, Wien 2005c,
abrufbar unter http://oesterreich.orf.at/ooe/stories/68378, Zugriffsdatum: 4. Februar 2009

qujOchÖ, Dobuschido, Video,
abrufbar unter http://www.qujochoe.org/webarchive/dobuschido, Zugriffsdatum: 4. Februar 2009