Arigona Zogaj und ihr bedrohter Aufenthalt

Arigona Zogaj und ihr bedrohter Aufenthalt

von Michael John

Das Beispiel dieses Flüchtlings bzw. dieser Flüchtlingsfamilie ist relevant, weil es Personen aus Ex-Jugoslawien betrifft - die größte Gruppe von MigrantInnen in Linz. Unter diese Gruppe fallen sowohl Personen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren als "GastarbeiterInnen" nach Österreich kamen, als auch jene, die im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen der 1990er-Jahre nach Österreich flüchteten. Zudem handelt es sich hier um den Sonderfall der Kosovo-AlbanerInnen, in dem die Gewährung von Asyl eine große Rolle spielt. Gegenüber Menschen albanischer Herkunft wurden in der Vergangenheit in Oberösterreich starke Vorurteile spürbar.

    So erlangte das Thema der albanischen MigrantInnen in Oberösterreich 1997 in einem intensiven Gemeinderats- und Landtagswahlkampf einen besonderen Stellenwert . Es wurden etwa Postwurfsendungen verschickt oder etwa folgende Anzeige geschaltet:

"Tausende Albaner nach Linz geschmuggelt. Illegale Einwanderung wird immer bedrohlicher […] Faktum ist: Das organisierte Verbrechertum hat von Linz aus mehr als 11.000 Albaner ins Land geschleust! Wir sind für die Linzer da. Die Freiheitlichen […]".
(vgl. Neue Kronen Zeitung vom 4. Oktober 1997, S. 47 (Wahlwerbung))

    Zum eigentlichen Wahlschlager entwickelte sich in der Folge die Kampagne für eine harte Sicherheitspolitik: "Sicherheitsloch Mühlviertel, Albaner-Invasion droht!", so der Titel eines Flugblatts vom September 1997. In der Wahlwerbung war von rund 30.000 bzw. 50.000 AlbanerInnen die Rede. Und:

"In Tschechien rotten sie sich zusammen. Ihr Ziel ist klar: illegal nach Österreich zu kommen. Tausende Albaner, großteils Kriminelle, sind am Sprung […] Unfassbar ungeschützt steht Oberösterreich da […]"
(FPÖ-Flugblatt "Sicherheitsloch Mühlviertel", Postwurfsendung, September 1997)

    Die "Albaner-Linie" führte bei den Wahlen 1997 zu einem großen Erfolg jener Partei, die damit Wahlwerbung betrieb. In der Realität hatte die Zahl der albanischen StaatsbürgerInnen in Linz per 31. Dezember 1997 104 Personen betragen. Und im ersten Halbjahr 1998 hatten in ganz Österreich rund 100 Kosovo-AlbanerInnen Anträge auf politisches Asyl gestellt. (vgl. dazu John 2000, S. 374 f.) Die Zahl der albanischen bzw. Kosovo-albanischen Zuwanderung nach Oberösterreich ist auch in der Gegenwart eher gering. Die aktuelle Statistik weist per 1. Jänner 2009 in Linz 102 Personen mit albanischer Staatsbürgerschaft und 307 Personen mit der Staatsbürgerschaft Kosovo aus. (vgl. Magistrat der Landeshauptstadt Linz 2009)

    Nach wie vor eignen sich jedoch Flüchtlinge albanischer Herkunft bzw. mit einer Herkunft aus dem Kosovo als Spielball medialer und politischer Debatten. So ist das Flüchtlingsmädchen Arigona Zogaj in ganz Österreich zu einem Begriff geworden. Das Haus der Zogajs in Kalican (Kosovo) wurde niedergebrannt, die Familie flüchtete aus Gründen, die in der gewaltsamen Auflösung des ehemaligen Staates Jugoslawien lagen, aus ihrem Heimatort. Sie bat um Asyl und erreichte schließlich 2001/2002 Frankenburg am Hausruck in Oberösterreich. Die geplante Abschiebung, die zur Trennung der Familie führte, hatte eine anhaltende Diskussion über Asyl und das humanitäre Bleiberecht in Österreich zur Folge. Der drohenden Abschiebung entzog sich Arigona Zogaj im Jahre 2007 durch Flucht, wobei sie sich bei dem Ungenacher Pfarrer Josef Friedl versteckte. "Arigona - das Mädchen, das Österreich in Atem hält", titelte etwa der KURIER: "Akte Arigona. Die 15jährige ist zur Symbolfigur für den Kampf um das Bleiberecht geworden." (KURIER vom 7. Oktober 2007, S. 9) Der mediale Diskurs war damals zum Großteil von humanitären Überlegungen geprägt und wurde zum Teil als "Sensationsstory" inszeniert. (vgl. Riedl 2007; der Standard vom 15. Oktober 2007, S. 1) "Minister wirft Asyl-Kind raus", titelte die Zeitung Österreich, "Freiheit für Arigona" las man im Magazin News auf Seite 1. Auch die auflagenstarke Neue Kronen Zeitung sprach sich für die Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis aus. (Österreich vom 15. Dezember 2007, S. 1; News vom 10. Oktober 2007, S. 1; Kronen Zeitung vom 15. Dezember 2007, S. 1, 12, 13) Der Vater Devat Zogaj und vier Kinder hatten dessen ungeachtet Österreich verlassen müssen. Die Mutter Nurie Zogaj ist seitdem laut ärztlichem Gutachten krank und benötigt psychiatrische Hilfe. Arigona Zogaj verkraftete die durch die Trennung der Familie und die akute Bedrohung der Abschiebung entstandene Situation nur unter großen Schwierigkeiten und befindet sich seither ebenfalls in psychologischer Betreuung. (Volkshilfe 2007, S. 8 f)

    Das kulturell und sprachlich vollständig integrierte Mädchen besucht aktuell eine berufsbildende Schule, lebt wochentags in Linz-Süd und wird von der Flüchtlingsbetreuung der Volkshilfe Oberösterreich unterstützt. Gemeinsam wird versucht, Normalität zu erlangen. Das Mädchen soll eine adäquate Berufsausbildung erhalten.

    Als eine fremdenfeindliche Gruppe wiederholt über AusländerInnen allgemein und über Arigona Zogaj als Symbol einer "Asylantin" schimpfte, wagten vier Mädchen einen Test: Sie stellten den Burschen in einem Einkaufszentrum die Migrantin als Cousine "Eva aus dem Innviertel" vor. "Vier Mädchen und vier Burschen", erzählt Volkshilfe-Betreuer Christian Schörkhuber,

"die kamen ins Gespräch und die 'Eva aus dem Innviertel' ging durch, also die haben das nicht bemerkt. Das Mädchen aus dem Kosovo wurde als Innviertlerin in Linz angesehen und blieb unerkannt."
(Interview mit Christian Schörkhuber, Volkshilfe OÖ, am 16. April 2009 (Tonband))

    Im Interview hält die Schülerin Arigona Zogaj fest:

"Zu mir persönlich sagt in Linz niemand etwas. Mir hat in Linz noch niemand etwas Ausländerfeindliches ins Gesicht gesagt […] In der Schule sind sie alle voll nett und auch die Lehrer, sie haben auch darauf geschaut, dass man mich nicht erkennt […] In Linz ist das viel besser, wie im Dorf, da kennt dich jeder, in Linz kennen dich die meisten nicht und du kannst machen, was du willst. In Linz kann man eine Menge unternehmen, die Stadt ist super, am liebsten bin ich im Coffee Shop oder im Passage in der Coffee World. Also, da ist etwas los."
(Interview mit Arigona Zogaj, am 16. April 2009 (Tonband))

    Arigona Zogaj teilt diese Erfahrung wohl mit vielen oberösterreichischen SchulpendlerInnen, die in Linz die Schule besuchen und in einem kleinen Ort aufgewachsen sind - im Falle Arigona Zogajs war dies Frankenburg bei Vöcklamarkt. Die Anonymität der Großstadt Linz ist für die weitere Entwicklung des Mädchens nur von Vorteil und wird von der betreuenden Organisation als wichtiger Faktor angesehen. Gleichzeitig ist der Kontakt zur Mutter ebenfalls sehr wichtig. (Interview mit Christian Schörkhuber, Volkshilfe OÖ, am 16. April 2009 (Tonband))

    Arigona Zogaj und ihre Mutter sind noch immer von der Abschiebung bedroht, ihr Aufenthaltstitel ist temporär. Der Fall wurde zum Politikum, zur Demonstration einer Hardliner-Haltung im Falle der Gewährung von Asyl und humanitärem Bleiberecht. Die Familie ist kein Einzelfall. Wiederholt wird in den Medien über Härtefälle und dramatische Abschiebungsfälle berichtet. Gegenüber der von Parteipolitik getragenen Hardliner-Haltung gab das Wochenmagazin profil zu bedenken:

"Wer nach ein, zwei Jahren zurückgeschickt wird, kann in der Heimat auf soziale Netzwerke zurückgreifen. Doch jene, deren Kinder hier aufgewachsen sind und im örtlichen Fußballverein kicken, die seit Jahren hier arbeiten und Steuern zahlen, finden kaum noch Anknüpfungspunkte."
(profil vom 2. Juni 2008, S. 18)

    Der Staat habe ihnen gegenüber eine ethische Verantwortung, frei nach Antoine de Saint-Exupéry, der den Fuchs zum kleinen Prinzen sagen lässt: "Man trägt Verantwortung für das, was man sich vertraut gemacht hat." (ebd.)



Neue Kronen Zeitung, Wahlwerbung der FPÖ , 4. Oktober 1997, S. 47

FPÖ, Sicherheitsloch Mühlviertel , Postwurfsendung September 1997, Linz 1997

John, Michael, Bevölkerung in der Stadt. 'Einheimische' und 'Fremde' in Linz (19. und 20. Jahrhundert) , Linz 2000

Magistrat der Landeshauptstadt Linz, AusländerInnen , Linz 2009,
abrufbar unter http://www.linz.at/zahlen/040_Bevoelkerung/070_Auslaender, Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

KURIER, Arigona - das Mädchen, das Österreich in Atem hält , 7. Oktober 2007, S. 9

Riedl, Joachim, Das Mädchen und der Pfarrer , ZEIT online, 15. Oktober 2007 (www.zeit.de/online)

Volkshilfe Oberösterreich, Psychologischer Befund Arigona Zogaj , 28. Dezember 2007