Linz trägt Goldhaube mit Döner

Linz trägt Goldhaube mit Döner

von Michael John

Die Entwicklung der Kommunen im "westlich" geprägten, hochentwickelten Teil Europas verweist seit den 1990er-Jahren auf ein Dilemma. Einerseits seien die Städte, auf Zuwanderer für die klaglose weitere Funktion der größeren Städte angewiesen. Andererseits störe die Neuzuwanderung die Traditionen des bislang üblichen Alltagslebens. Fremdenfeindliche Empfindungen sind bei einem erheblichen Teil der StadtbewohnerInnen Realität. Krisen und die individuelle Gefährdung durch Arbeitslosigkeit schärfen vorhandene Antipathien zusätzlich an. (Häußermann/Oswald 1997, S. 25)

    Als der marokkanische Weltstar Khaled am 4. Juni 2006 im Linzer Tempel der Hochkultur, dem Brucknerhaus auftrat, war das Konzerthaus nicht nur mit MigrantInnen gefüllt, sondern dies geschah im Rahmen des traditionellen "LinzFests". (vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 6. Juni 2006, S. 32) Die Stadt weist eine lebendige, multikulturelle Prägung auf, wenngleich Linz nicht mit multikulturellen Metropolen wie Paris, London, New York oder Berlin verglichen werden kann.1 Der alltagskulturelle Einfluss lässt sich jedoch auch in Linz nicht auf das Kulinarische reduzieren - obwohl zur Illustration gerne darauf zurückgegriffen wird: Döner Kebab, Pizza und asiatische Snacks sind im Vormarsch, der Leberkäse wird in einer Reihe von Linzer Stadtteilen zum Minoritätenprogramm, erfreut sich aber durchaus friedlicher Koexistenz. Die vom Balkan stammende "Bosna" hat sich schon seit langem einen Fixplatz an den "heimischen" Imbissständen gesichert. In mehreren Stadtvierteln spielen aus dem Ausland zugewanderte KleinunternehmerInnen eine wichtige Rolle in der Nahversorgung (Gemüse, Lebensmittel, kleine Supermärkte, Video, Waren aller Art). Linz ist in den letzten zwanzig Jahren unzweifelhaft kulturell und ethnisch pluraler geworden, und zwar in einem bislang ungekannten Ausmaß. Angesichts der Tatsache, dass Linz im Jahr 2009 den Status einer Europäischen Kulturhauptstadt innehat, haben sich Elemente eines kosmopolitischen Flairs in der Stadt 2008 und 2009 jedenfalls verstärkt.

    In Linz sind auch dutzende ethnisch-religiös definierte Vereine aktiv. Vor kurzem gelangte erstmals ein ausschließlich von MigrantInnen bespieltes Stück in das Programm des Linzer Landestheaters ("Lebenstraum Österreich"). Mit dem Jazzmusiker Doug Hammond erhielt 2007 ein Künstler afroamerikanischer Herkunft den Landeskulturpreis. Linz hat sich auch in der offiziellen Selbstdarstellung zur Inklusion bekannt: "Linz lebt Miteinander" und "In Linz leben Menschen aus mehr als 140 Nationen." (vgl. Magistrat der Landeshauptstadt Linz 2007) In Oberösterreich gibt es ein Landesgesetz gegen Diskriminierung, 2008 wurde ein tolerantes "Integrationsleitbild" erstellt. (vgl. Land Oberösterreich 2008) Die tendenzielle Pluralität der Lebensstile vollzog und vollzieht sich jedoch nicht konfliktfrei. Abgesehen von medial auffälligen Unternehmungen von AktivistInnen existiert eine in Teilen der Bevölkerung verbreitete zuwanderungsfeindliche Grundstimmung. Eine besondere Situation war in Linz dadurch gegeben, dass sich die Zahl der MigrantInnen sehr rasch verdreifachte. Die mit dieser raschen Entwicklung verbundenen Folgen blieben nicht aus: Konflikte entstanden wie anlässlich der "Schüsse im Neustadtviertel". Häufig wurde und wird eher über die Probleme im Zusammenleben oder in der Schule berichtet, wie im Falle des "Kopftuchstreits" an Linzer Schulen. Die Chancen, die Migration bietet, das Potenzial, das MigrantInnen darstellen, werden dabei meist vergessen. Dies erhöht oder bestätigt jedoch die Empfänglichkeit für fremdenfeindliche Slogans und Stimmungen.

    Ungeachtet methodischer Unschärfen zeigen diverse Umfragen seit Jahren eine diffuse Ablehnung von ZuwanderInnen. So ergab eine im November und Dezember 2005 durchgeführte repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstitut market, dass 70 Prozent der Befragten folgender Aussage zustimmten: "In Linz wohnen zu viele Ausländer." (Oberösterreichische Nachrichten vom 12. Jänner 2006, S. 7) Ambivalente Ergebnisse zeitigte die "Jugendbefragung 2006", die vom Magistrat (Stadtforschung Linz) via Internet durchgeführt wurde und an der 2.568 Jugendliche (14 - bis 18-Jährige) teilnahmen: 53 Prozent der befragten Jugendlichen waren beunruhigt oder sehr beunruhigt über den (hohen) AusländerInnenanteil in Linz, lediglich 22 Prozent waren nicht beunruhigt. Andererseits hatten gleichzeitig 58 Prozent der Jugendlichen angegeben über Fremdenhass/Rassismus sehr beunruhigt zu sein. (Magistrat der Landeshauptstadt Linz 2006, S. 51)



1 Im 2008 erschienen "Linz Atlas" wird denn auch festgehalten: "Österreichs Städte kann man nur bedingt als 'kosmopolitisch' bezeichnen." (Arlt/Broquard/Voegeli 2008, S. 20)



Arlt, Peter, Broquard, Dimitri, Voegeli, Jonas (Hrsg.), Linz Atlas. Zur Lebensqualität hier und anderswo, Linz 2008

Häußermann, Hartmut, Oswald, Ingrid, "Zuwanderung und Stadtentwicklung", in: dies. (Hrsg.), Zuwanderung und Stadtentwicklung (= Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Sonderheft 17/1997), Darmstadt 1997, 9 - 29

Land Oberösterreich (Hrsg.), Einbeziehen statt Einordnen. Zusammenleben in Oberösterreich. Integrationsleitbild des Landes OÖ, Linz 2008

Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Linzer Integrationspolitik – Aktuelle Maßnahmen und Initiativen, Presseaussendung vom 26. Jänner 2007,
abrufbar unter http://www.linz.at/presse/2007/200701_11868.asp, Zugriffsdatum: 10. Mai 2009

Magistrat der Landeshauptstadt Linz, Stadtforschung Linz, Jugendbefragung 2006, Linz 2006