Analyse- und Interpretationsphase
Analyse- und Interpretationsphase
von Thomas Philipp
Das im desk research erhobene Material wurde nach einzelnen Topoi auf mehreren Ebenen (Medien, Politik, Wissenschaft, Alltag) geordnet und den einzelnen Diskurssträngen zugewiesen. Im horizontalen Schnitt ging es dabei auch um die Identifizierung von zentralen diskursiven Ereignissen. Ziel der Diskursanalyse war es, die kommunikative Konstruktion verschiedener Diskursstränge nachzuvollziehen, die für die Konstitution der Stadt Linz als Industrie- bzw. Kulturstadt von zentraler Bedeutung waren und sind.
Die durchgeführte Diskursanalyse schließt an neuere Konzeptionen aus dem deutschsprachigen Raum (Link 1988, Jäger 1999, Keller 2005 etc.) an, die insbesondere auf den Foucault'schen Diskursbegriff verweisen. Als Diskurse können demnach regelgeleitete Praktiken aufgefasst werden, die Gegenstände nicht nur bezeichnen, sondern das worüber sie sprechen, real hervorbringen. Damit unterscheidet sich der hier angewandte Diskursbegriff etwa von jenem, wie ihn Habermas verwendet. Die Diskursanalyse selbst ist ein Forschungsprogramm, das Diskurse und deren Machtwirkungen mit Hilfe archäologischer und genealogischer (im Sinne Foucaults) Verfahren der Rekonstruktion regelhafter Praktiken analysiert.
Ein Diskurs besteht dabei aus verschiedenen Diskurssträngen, die wiederum aus einer endlichen Anzahl von thematisch einheitlichen Fragmenten (z. B. Texten, Interviews, Redebeiträgen, …) zusammengesetzt sind. Der Diskurs über MigrantInnen in der Gesellschaft besteht etwas aus dem Diskursstrang "Asyl", dem Diskursstrang "Integration", dem Diskursstrang "Illegale Beschäftigung" usw. usf. Ein wichtiges Moment stellen dabei Diskursstrangverschränkungen dar, d. h. die gegenseitige Beeinflussung und Stützung von verschiedenen Diskurssträngen. Link (1988) beschreibt die Wirkung derartiger Diskursstrangverschränkungen anhand des von ihm entwickelten synchronen Systems kollektiver Symbole, bei dem durch Bildbrüche (Katachresen) besondere diskursive Wirkungen erzeugt werden können (z. B. die Metapher von der AusländerInnenflut, der Begriff des Sozialschmarotzers etc.)
Diskurse operieren zudem auf verschiedenen Ebenen, wobei diese aufeinander einwirken, sich aufeinander beziehen, einander nutzen oder hindern etc. Derartige Diskursebenen wären insbesondere jene des wissenschaftlichen Diskurses, des politischen Diskurses, des Mediendiskurses und des Alltagsdiskurses. Wichtig für die Analyse von Diskursen sind so genannte diskursive Ereignisse, wobei es sich nicht um "reale" Ereignisse handelt, sondern um den breit entfalteten Diskurs (zumeist auf mehreren Ebenen) über diese Ereignisse. (vgl. Jäger 1993, S. 157) Ihre Identifikation erlaubt es, die den Diskurs bestimmenden regelgeleiteten Praktiken und weiterführende Fragen wie jene nach ideologischen Machtpositionen eingehender zu analysieren.
Zur Ordnung der einzelnen Diskursstränge ist es zudem wichtig, sie nach einzelnen Topoi, d. h. nach thematischen Kristallisationen, zu ordnen. Christmann (2005) arbeitet den Zusammenhang zwischen einem städtischen Diskurs und Topoi in einem Beitrag über den Dresdner Stadtdiskurs und die Wahrnehmung der Stadt folgendermaßen heraus:
(Christmann 2005, S. 311 ff.)
Im Hinblick auf die Arbeit bei "Linz. Stadt im Glück" bedeutete diese diskursanalytische Herangehensweise also die Erhebung von einer Vielzahl einzelner Diskursfragmente für die einzelnen Diskursstränge, deren Ordnung nach verschiedenen Diskursebenen und einzelnen Topoi sowie die Identifizierung von diskursiven Ereignissen, um daran anschließend eine Analyse des städtischen Diskurses über die Entwicklung von Linz als Industrie- und Kulturstadt zu ermöglichen. Für die Aufbereitung in der Ausstellung wurde besonderer Wert auf eine entsprechende Reduktion der Komplexität gelegt, um die "durchschnittlichen AusstellungsbesucherInnen" nicht mit Informationen zu überfrachten. Hier wurde der emotionale Zugang zu den Themen und diskursiven Ereignissen im Vordergrund gestellt, insbesondere durch die Präsentation einer Vielzahl von Erinnerungsobjekten.
Die wissenschaftliche Transkription der Interviews erfolgte unter Einsatz entsprechender Software (f4), wobei nach für den Forschungszweck geeigneten Transkriptionsregeln verfahren wurde. Anschließend wurden die Interviews unter Einsatz qualitativer Forschungssoftware (Atlas.ti) kodiert und kategorisiert und die dabei entstehenden Topoi dem bestehenden Diskursarchiv zugeordnet. Die Erkenntnisse aus den Interviews wurden somit jenen der bis dorthin durchgeführten Diskursanalyse verdichtet.
Jäger, Siegfried, Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, 2. überarb. und erw. Aufl., Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, Duisburg 1999 [1. Aufl. 1993]
Keller, Reiner, Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005
Link, Jürgen, "Über Kollektivsymbolik im politischen Diskurs und ihren Anteil an totalitären Tendenzen", in: ders. (Hrsg.), kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie, Nr. 17/18, Dortmund 1988, S. 47 - 53