Zeitkultur am Hafen

Zeitkultur am Hafen

von Lydia Thanner und Andre Zogholy

Mit einem zweitägigen Festakt wurde am 1. und 2. September 1984 der Posthof als Haus für Zeitkultur in Österreich im Linzer Hafenviertel nach zweijährigen Adaptierungs-, Aus- und Umbauarbeiten eröffnet. Das Haus steht im Eigentum der Stadt Linz, ist ein zeitgenössisches Zentrum für Gegenwartskultur und bietet Auftritts- und Probemöglichkeiten.

    Unter dem Titel "Lockerer erster Schritt" berichteten die Oberösterreichischen Nachrichten am 3. September 1984 von der Eröffnung. Das Programm an den beiden Tagen war mit Festreden, Konzerten, Theatervorstellungen bis hin zu einer Pantomimedarbietung abwechslungsreich, auch das zahlreich erschienene Publikum war breit gemischt. Der Posthof-Eröffnung gingen allerdings Differenzen zwischen der Politik und der Rockmusikszene in Linz voran, die sich teilweise gegen den Posthof stellte. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichteten darüber am 3. September 1984 in ihrem Beitrag zur Eröffnung des Posthofs:

"Der erste Schritt zur Linzer Zeitkultur wäre damit geschafft. Jetzt liegt es an der Führung des Posthofes, die Vertreter dieser Kultur unter einen Hut zu bringen. Kleinliches Gruppendenken und Hickhack wären nicht nur unalternativ, sondern würden einer Linzer Szene im Keim den Garaus machen."
(Oberösterreichische Nachrichten vom 3. September 1984, S. 8)

    Zu Beginn der 1980er-Jahre begann sich die Linzer Szene für ein eigenes und selbstverwaltetes Rockhaus mit Auftritts-, Probe- und Aufnahmemöglichkeiten einzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, gaben die InitiatorInnen auf dem Plattenlabel Park den Sampler "Linzer Szene für ein Rockhaus" (1982) heraus. Das Album vereinte Nummern von 15 Band- und Musikprojekten aus Linz:

  • I kann net gnua krieagn (Austria Knochenschau)
  • Afghanistan (Austria Knochenschau)
  • Peter's best (Secretary Modern)
  • Even when the sun don't shine (Secretary Modern)
  • Leben (Flying Penis Brothers)
  • Für Frieden und Abrüstung (Flying Penis Brothers)
  • Forisabelle (G. Maly & G. Polland)
  • Tv-Mama (G. Maly & G. Polland)
  • Aus meine Herrn (De Ha (Desert Harvest))
  • Dealer(De Ha (Desert Harvest))
  • Diener (Die Mollies)
  • Stransky's Blumen (Jay Band)
  • Left side right side (Jay Band)
  • Nina (LS Franz)
  • Total fatal (LS Franz)
  • Tiermenschen (In-Seit)
  • Morgenstund (In-Seit)
  • Snake Dance (Reflection)
  • Lady of my heart (Reflection)
  • Gedanken (Frenzel & Söhne)
  • Kokainträume (Frenzel & Söhne)
  • Midnight (Tonfabrik)
  • All watz (Gegenwind)
  • Roli (Gegenwind)
  • Von denen Winterkindern (Werner Pfeffer & Band)
  • Tote Tiere (Werner Pfeffer & Band)
  • Improvisation (Schallosie)
  • Grat (Schallosie)

    Am 15. Jänner 1982 wurde die erste Linzer Rocknacht mit 3.500 BesucherInnen in der Sporthalle veranstaltet. Nahezu zeitgleich schufen die Oberösterreichischen Nachrichten mit "ALIS popkiste" ein blattinternes Jugend- und Musiksegment. Ali Grasböck schrieb darin am 23. Jänner 1982 über die stärkende Wirkung der Linzer Rocknacht für das gemeinsame Ziel. In den "Informationen zum Posthof", einem internen und unveröffentlichten Dokument, wurde das Resume wie folgt gezogen:

"Der weitverbreitete Brauch, Gruppen aus der eigenen Stadt von vornherein abzutun, war im Aussterben. Der überraschende Publikumsansturm gab den Befürwortern des Linzer Rockhauses natürlich eine starke Position für die weiteren Verhandlungen."
(LIVA / POSTHOF - Zeitkultur am Hafen, o. J.)

    Zuvor brachten sich die MusikerInnen und Bandmitglieder in unterschiedlichem Ausmaß in die Initiative für ein Rockhaus ein. Besonderes Engagement zeigten ProtagonistInnen wie Irene Judmayer (In-Seit) oder Kurt Mitterndorfer (Flying Penis Brothers), dem Gründer der späteren Literatur-Initiative "Linzer Frühling". Als damaliger Leiter des Jugendzentrums Marklstraße stand Mitterndorfer zudem ein Versammlungsort für regelmäßige Treffen zur Verfügung. (vgl. Kump 2007, S. 81)

    Zunehmend schaltete sich die Politik ein und insbesondere VertreterInnen der SPÖ nahmen an Versammlungen teil. Gemeinsam sichteten, diskutierten und planten die Beteiligten Konzepte. Landesvorsitzender der Jungen Generation der SPÖ Oberösterreich war zu diesem Zeitpunkt Franz Dobusch. (vgl. SPÖ Linz-Stadt 2008, S. 413) Durchaus zynisch fragten die Oberösterreichischen Nachrichten am 26. Jänner 1982, ob es die Initiative geschafft hatte, die Linzer Szene in die Hände der Politik zu legen. (vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 26. Jänner 1982, S. 8)

    Zu zentralen Diskussions-, Verhandlungs- und Konfliktpunkten entwickelten sich die Standortfrage und die Schwerpunktsetzung bzw. inhaltliche Ausrichtung des Hauses (ab Mitte 1982). Zwei Standorte standen zur Disposition, die ehemalige Bundespolizeidirektion im Stadtzentrum und ein ehemaliger Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert im Hafengebiet. Die Ursprungsidee eines autonom verwalteten Rockhauses wich zunehmend dem Konzept eines für mehrere Disziplinen offen stehenden städtischen Kulturzentrums.

    Da die Intention eines selbstverwalteten Rockhauses der Linzer Musikszene nicht in dem geforderten Rahmen realisiert wurde, zogen sich mehre VertreterInnen zurück. In Andreas Kumps Buch "Es muss was geben. Die Anfänge der alternativen Musikszene in Linz" erinnerten sie sich:

Peter Donke: "Der erste Dämpfer war, als die Sozis aufgesprungen sind, als das plötzlich alles vereinnahmt wurde. [...] Als wir auf einmal gesagt haben sollen: 'Wir brauchen ein Rockhaus!'. Da ist eine Kampagne gelaufen. [...] Und in der Zeitung ist gestanden: 'Willi Warma: Wir brauchen ein Rockhaus!' Dabei haben wir definitiv auf die Anfrage, ob wir da mitmachen wollen, gesagt: 'Seid's deppert? Wenn man einen Platz braucht, dann nimmt man sich den.' [...] Man hat schon gerochen, dass parteipolitisch immer eine Münze geschlagen wird [...] Wir haben wirklich Probleme bekommen, weil irgendjemand [...] geschrieben hat, wir seien die größten Huren."
(Kump 2007, S. 81)
Paul Fischschnaller: "Es hat ja in Linz nie Jugendunruhen gegeben. So wie in Zürich oder anderen Städten. Das führe ich darauf zurück, dass die Politik so klug war, diese ganzen potenziellen, aggressiven Stimmungen sofort zu kaufen. Das war klug von ihnen und blöd von uns, weil wir uns kaufen haben lassen. Denn ich war der Erste, der im Posthof einen Proberaum gehabt hat."
(ebd., S. 82 f.)
Irene Judmayer: "Es war von uns nicht als jenes Haus geplant, das der Posthof heute ist. (…) Irgendwann hat aber die Politik diese Idee als gute Idee erkannt und aufgenommen. Das war ein Mechanismus, der mich sehr verblüfft hat. Ich war zwar immer sehr engagiert [...], aber grundsätzlich war ich politisch naiv. [...] Es waren bei Abstimmungen plötzlich Politiker da, die ich vorher nie gesehen hatte, damit entsprechende Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden konnten. [...] Es ist uns irgendwann entglitten. [...] Gerade zu der Zeit sind sehr viele Privatinitiativen durch die Politik vereinnahmt worden. Ich denke, es war dieser Punkt: Der Wechsel von der 'Stahlstadt' zur 'Kulturstadt'."
(ebd., S. 82)

    Am 16. Dezember 1982 traf der Linzer Gemeinderat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und KPÖ die Entscheidung für den Posthof im Linzer Hafen. Nach einer politischen Entscheidung erfolgte die Gründung eines Beirates und eines Betriebsvereines, die die unabhängige Programmierung des Posthofs gewährleisten sollten. Der Posthof wurde organisatorisch in die LIVA, die Linzer Veranstaltungsgesellschaft eingegliedert. Das erste Leitungsteam stellten Berni Altmüller und Ruth Matzinger, aktuell sind dies Werner Ponesch (seit 1985) und Wilfried Steiner (seit 1999). (vgl. LIVA / POSTHOF - Zeitkultur am Hafen o. J., o. S.)

    Zwei Säle mit technisch guter Ausstattung standen bei der Eröffnung 1984 zur Verfügung, und lokalen Bands wurden Proberäume geboten. Seit der Eröffnung des Posthof-Neubaus, dem Posthof 2 (1990) verfügt das Haus zusätzlich über den so genannten "Großen Saal" mit einer Kapazität von 1.300 Stehplätzen. Das aktuelle Posthof-Programm reicht von Konzerten unterschiedlicher Musikrichtungen über die Sparten Kabarett, Kleinkunst, Theater und Tanz. Schwerpunktsetzungen bieten seit der Eröffnung konzentrierte Veranstaltungsreihen und Festivals. Zu nennen sind beispielsweise das Linzer Kleinkunstfestival, die Tanztage, das Black Humour Festival oder das Heimspiel, das eine Plattform zur Förderung der jungen österreichischen (Musik-) Szene darstellen soll.

    Im Buch "Linz. Tradition, Moderne, Vision" steht über den Posthof: "Die Rockhaus-Bewegung [...] erhielt früher als ähnliche Initiativen in anderen Städten ein offenes Ohr bei den Stadtvätern" (vgl. Klinger 2005, S. 59) und so ein "Festspielhaus der Gegenwartskultur" (ebd.). So gesehen stellt die Bereitstellung eines zeitgenössischen Kulturhauses eine beinahe klassische kulturpolitische "Bottom-Up-Top-Down"-Strategie dar. Zugespitzt formuliert: In Linz kommt Subkultur von oben.



Klinger, Joachim, Linz. Tradition, Moderne, Vision, Landesverlag, Linz 2005

Kump, Andreas, Es muss was geben. Die Anfänge der alternativen Musikszene in Linz, publication PN°1 Bibliothek der Provinz, Weitra 2007

LIVA / POSTHOF - Zeitkultur am Hafen, Informationen zum Posthof (unveröffentlichtes Dokument), Linz o. J.

LIVA / POSTHOF - Zeitkultur am Hafen, Programm, Linz 2009,
abrufbar unter http://www.posthof.at, Zugriffsdatum: 15. Mai 2009

Oberösterreichische Nachrichten, ALIS popkiste, 26. Jänner 1982, S. 8

Oberösterreichische Nachrichten, Lockerer erster Schritt, 3. September 1984, S. 8

SPÖ Linz-Stadt, 20 gute Jahre für Linz. Bürgermeister Franz Dobusch, Linz 2008