Der Fall Langoth

Der Fall Langoth

von Michael John

In Österreich glaubte man nach 1945 die Souveränität rascher wieder zu erlangen, indem man das Land zum ersten Opfer Hitlers stilisierte, den Jubel im März 1938 negierte und die Mitverantwortung von ÖsterreicherInnen an den nationalsozialistischen Verbrechen in den Hintergrund rückte. Im beginnenden Kalten Krieg folgten die Großmächte ihren eigenen Interessen, Österreich gewann dadurch mit seiner Position Spielraum. Ehemalige NationalsozialistInnen wurden in diesem Zusammenhang mitunter rasch pardoniert, insbesondere, wenn sie freundlich waren oder über Beziehungen verfügten. In diese Kategorie gehörte Franz Langoth (1877 bis 1953), illegales NSDAP-Mitglied vor 1938, SS-Brigadeführer und Mitglied des Großdeutschen Reichstages. Der Jurist war Richter beim Volksgerichtshof gewesen und hatte 118 Schuldsprüche gefällt, davon 41 Todesurteile. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang die damals 63 Jahre alte, in Linz geborene Ordensschwester Camilla Estermann. In einer Linzer Bekleidungsfirma hatte sie an französische Zwangsarbeiter Lebensmittel und Kleidungsstücke verschenkt und war deshalb von der Gestapo verhaftet worden. Von einem Richtersenat des Volksgerichtshofes, dem Oberbürgermeister Franz Langoth angehörte, wurden sie und der 74-jährige Franz Heger zum Tode verurteilt. Der pensionierte Gendarmerie-Inspektor Heger wurde letztlich wegen der Verbreitung von Weissagungen verurteilt, die den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes prophezeiten. Beide wurden am 21. November 1944 in Wien enthauptet. (vgl. Schuster 1999, S. 154 - 156)

    Franz Langoth war vom 1. Jänner 1944 bis Kriegsende Oberbürgermeister von Linz. In seinen Memoiren hielt Langoth dazu fest: "Natürlich galt auch in der Stadtverwaltung das Führerprinzip [...] die Entscheidung stand schließlich bei mir allein". (vgl. Langoth 1951, S. 267) Im Stadtbereich wurden damals viele ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlinge festgehalten, misshandelt oder getötet. Vom US-Militär wurde Langoth festgenommen und in ein Internierungslager verbracht. Für Aufregung hatte gesorgt, dass der von den Amerikanern eingesetzte Bürgermeister Ernst Koref sich vom NS-Bürgermeister mit Handschlag verabschiedete. Langoth hatte eingegriffen, als Koref in das KZ Dachau verschickt werden sollte und ihm damit möglicherweise das Leben gerettet. Im Gegenzug übernahm Koref Langoths Sekretär der Jahre 1944/45, Hans Kreczi, und setzte ihn in hohen Funktionen, u. a. als Kulturverwaltungsdirektor ein. Obwohl gegen Langoth Erhebungen nach dem Kriegsverbrecher- und Verbotsgesetz stattfanden, kam es zu keiner Anklage. Er galt aufgrund seiner väterlichen Art als Prototyp des "guten Nazi". Langoth blieb bei seiner politischen Haltung. In seinen Memoiren präsentierte er sich noch 1951 als überzeugter Nationalsozialist. Langoth war kein Einzelfall. In der Stadt Linz ebenso wie im Land Oberösterreich waren nach 1945 viele ehemalige NationalsozialistInnen in Verwaltung, Jurisdiktion und Politik tätig. (vgl. dazu u. A. Schuster 1996, S. 87 ff.) Langoth war als ehemaliger Linzer Oberbürgermeister allerdings ein sehr prominentes Beispiel.

    Walter Schuster, der nunmehriger Leiter des Archivs der Stadt Linz, hat die Fallgeschichte des Franz Langoth sehr detailliert dokumentiert und analysiert. In seiner Biografie des letzten nationalsozialistischen Oberbürgermeisters von Linz heißt es abschließend:

"In Österreich hatte man eine besondere 'Gabe' entwickelt: Man verstand es, zwischen 'guten' und 'schlechten' Nationalsozialisten zu unterscheiden und war rasch zu glauben bereit, jemand sei zwar NSDAP-Mitglied, aber kein Nazi gewesen. In diese Kategorie ehemaliger Nationalsozialisten, die man allzu schnell zu exkulpieren bereit war, gehörte auch Franz Langoth. Politiker und Behörden taten sich schwer, eine allseits respektierte Persönlichkeit wie ihn zu verurteilen. Selbst integre Männer wie Ernst Koref wollten sich als NS-Täter eher SA-Schläger und KZ-Bewacher als den Bildungsbürger vom Typus eines Franz Langoth vorstellen. Jemandem (!) wie ihm (!), dem stetig und bereitwillig attestiert wurde, auch in der NS-Zeit persönlich 'anständig' geblieben zu sein, wollte man nicht für die Verbrechen des NS-Regimes mitverantwortlich machen."
(Schuster 1999, S. 291)



Langoth, Franz, Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers, Wels 1951

Schuster, Walter, "Die Entnazifizierung des Magistrats Linz", in: Archiv der Stadt Linz (Hrsg.), Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1995, Linz 1996, S. 87 - 205

Schuster, Walter, Deutschnational. Nationalsozialistisch. Entnazifiziert. Franz Langoth. Eine NS-Laufbahn, Linz 1999