Ein Brief an Edgar Bronfman

Ein Brief an Edgar Bronfman

von Michael John

Die Waldheim-Affäre erschütterte in den 1980er-Jahren Österreich. Auch Linz geriet in die Schlagzeilen. Es handelte sich dabei um eine von beiden Seiten sehr emotional geführte Debatte. Der Linzer VP-Vizebürgermeister Carl Hödl hatte einen Brief an Edgar Bronfman, den Präsidenten des World Jewish Congress (WJC) verfasst. Hödl verteidigte in seinem Schreiben vom 19. Mai 1987 Bundespräsident Waldheim gegen jüdische Kritik. Er schrieb als "Österreicher, als Christ" und erwähnte in seinem Schreiben den Holocaust nicht:

"Wahrscheinlich haben Sie, Herr Bronfman, den Zweiten Weltkrieg in einem sicheren Land erlebt oder sind vielleicht gerade den Windeln entwachsen gewesen, sonst müssten Sie sich erinnern, daß Millionen unschuldiger Zivilpersonen, insbesondere in der deutschen Stadt Dresden, sinnlosen Bombardements zum Opfer fielen."

    Zur Kritik des WJC an Waldheim heißt es:

"[…] diese Behauptungen [sind] so zu werten wie die Ihrer Glaubensgenossen vor 2.000 Jahren, die in einem Schauprozess Jesus Christus zum Tod verurteilen ließen, weil er in das Konzept der Herren von Jerusalem nicht passte. Aber noch ein Vergleich sei mir gestattet. Wie dieses damalige ungerechte Urteil auszusprechen einem Römer überlassen wurde, so haben Sie es diesmal verstanden, den 'Täter' im amerikanischen Justizminister zu finden, der Dr. Waldheim auf die Watch List setzte."

    Der Brief schließt:

"Auge um Auge, Zahn um Zahn ist nicht unsere europäische Auffassung. Diese talmudische Grundtendenz in aller Welt zu verkünden, blieb Ihnen und Ihresgleichen vorbehalten. Sie werden vielleicht nicht wissen, was Humanität ist. Es könnte sein, dass man sie das noch lehrt […]"1

    Vizebürgermeister Hödl argumentierte nach der Veröffentlichung in einer Regionalzeitung, dass es sich bei diesem Brief um eine private Korrespondenz gehandelt habe. (vgl. Oberösterreichische Nachrichten vom 27. Juni 1987, S. 2) Der Brief trägt allerdings das Wappen der Stadt Linz und als Absender war Linz, Altes Rathaus angegeben. In der Folge erhielt er mehr als tausend vorwiegend zustimmende Reaktionen. Ein bekannter Heimatdichter widmete ihm einen aufmunternden Achtzeiler. Ein bildender Künstler schuf ein Hödl ehrendes Gemälde. Mit der Unterstützung des damaligen oberösterreichischen Landeshauptmannes gelang es ihm, eine von Prominenten aus allen politischen Lagern in ganz Österreich getragene Rücktrittsforderung aus Anlass des Briefes zurückzuweisen. Die Medien, abgesehen von Parteimedien, waren in Hinblick auf eine Unterstützung vorsichtiger: Die Neue Kronen Zeitung sprach etwa von einem "absurden Brief" Hödls an den WJC-Präsidenten. (vgl. Kronen Zeitung 19. November 1987, S. 12) Auf die Frage eines Reporters, ob er in Zukunft wieder Briefe schreiben werde, erklärte er: "Ja, vielleicht überlege ich mir die Diktion noch besser. Sie könnte aber auch schärfer werden." (Hödl 1990, S. 158) Hödl wies über die Dauer der Affäre konsequent den Vorwurf von sich, antisemitisch eingestellt zu sein. (vgl. ebd., S. 155 ff.) Im Gemeinderat der Stadt Linz gab Vizebürgermeister Hödl am 2. Juli 1987 eine diesbezügliche Erklärung ab.

    1990 erschienen die Erinnerungen Hödls, in denen er mit dem Thema sehr offensiv umging. Er verstand seine Memoiren offenbar als Möglichkeit zur Rechtfertigung und um "frei von der Leber weg" zu schreiben. Hier konnte man erfahren, dass Hödl das Große Ehrenzeichen der Republik Österreich angeboten wurde, er es aber abgelehnt habe. (vgl. ebd., S. 187) Ebenso teilte Hödl in seinem Buch mit, dass er für die Todesstrafe eintrete. (vgl. ebd., S. 198) Ferner war zu lesen, dass dem ehemaligen Vizebürgermeister "unser Mozart", "unser Bruckner" und "unser Strauss" gefalle, nicht jedoch die, wie er sich wörtlich ausdrückte, "Negermusik". (vgl. ebd., S. 206) Einen Schwerpunkt des Buches stellte die Briefaffäre dar: Hödl druckte seinen Brief an Bronfman zur Gänze ab und verstand die Aufregung nicht. Hödl ließ in seinem Erinnerungsbuch auch das Bild eines Künstlers abbilden, das die jüdischen Waldheim-Kritiker Bronfman und Singer quasi wie Vampire vom christlichen Kreuz gebannt zeigte. Edgar Bronfman wurde insofern unvorteilhaft dargestellt, als ihm, wenn die Wahrnehmung nicht trügt, Speichel vom linken Rand seines Mundes tropft. (vgl. ebd., S. 143) Hödl konzedierte in seinem Buch jedoch auch, dass ihn die Angelegenheit seelisch quälte, dass ihn die Sache nicht kalt lasse und er die gesamte Debatte als große Ungerechtigkeit begriff. Einen Rücktritt im Zusammenhang mit dem Brief hatte Hödl immer verweigert, er sah keinen Grund dazu. Den Vorwurf des Antisemitismus wies er erneut von sich. Ihm sei es um die historische Wahrheit gegangen. In den Memoiren formulierte er dies so: "Auch die Juden müssen alles dazu beitragen, dass es nie mehr zu 'Anlässen' kommt, die wir vor 1945 […] hatten." (ebd., S. 207)

    Im Ausland, speziell in Israel und den USA, wurde die Causa Waldheim und damit im Zusammenhang auch der "Brief an Edgar Bronfman" anders gesehen als in Teilen der österreichischen Bevölkerung und in Teilen der heimischen Politikszene. So wurde in der New York Times vor allem auf die sprachlichen Ausdrucksformen in Wien und Linz aufmerksam gemacht:

"Michael Graff, the general secretary of the People's Party resigned after he told […], that Mr. Waldheim was innocent 'so long as it's not proved that he strangled six Jews with his own hands.'" [Herr Waldheim sei unschuldig, bevor nicht bewiesen sei, dass er eigenhändig sechs Juden erwürgt habe].

    In weiterer Folge wurde Vizebürgermeister Hödl angesprochen:

"Mr. Hodl (sic!) was widely criticized after writing a letter last May to Edgar M. Bronfman, in which he compared the 'crusade' against Mr. Waldheim to what he called the persecution of Jesus by his fellow Jews".2 [Herr Hodl (sic!) wurde weithin kritisiert, nachdem er letzten Mai einen Brief an Edgar M. Bronfman geschrieben hatte, in welchem er den "Kreuzzug" gegen Herrn Waldheim mit der von ihm so bezeichneten Verfolgung von Jesus durch die jüdischen Zeitgenossen verglich].

    Aufmerksamkeit erregte in den USA auch, dass Ronald Lauder seinen Job als Botschafter der Vereinigten Staaten in Wien quittierte. Lauder, der Sohn der Kosmetik-Unternehmerin Esteé Lauder, ist derzeit Präsident des World Jewish Congress. Carl Hödl hatte im Vorfeld seines Briefes an Bronfman den damaligen Botschafter brieflich kontaktiert. (vgl. Hödl 1990, S. 141) Die Vorfahren Lauders stammten aus der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, lebten 150 Kilometer von Wien entfernt. Der Botschafter hatte ursprünglich eine sehr positive, nostalgische Beziehung zu Österreich. Im Zuge der Ereignisse der Jahre 1986 und 1987 veränderte sich dies. Auf den Bronfman-Brief reagierte er in einem Interview mit der New York Times mit Wut:

"Mr. Lauder recalled a letter sent to him last May by the deputy mayor of the industrial city of Linz, Carl Hoedl. It was a copy of a letter the official addressed to Edgar M. Bronfman, president of the World Jewish Congress. In this letter he said, I quote, 'You Jews got Christ, but you're not going to get Waldheim the same way,' the Ambassador said. 'I jumped out of my chair and wanted to react to it, even if it was not addressed to me. I was told indirectly, Don't worry, the Austrian people will react to it.'"3

    Die Erwartung des Botschafters, dass Vizebürgermeister Hödl zum Rücktritt gedrängt werde, erwies sich als nicht zutreffend.

    In dem Artikel heißt es weiter:

"'The interesting thing is the mayor, the governor of the area and his party, the People's Party, did not react,' Mr. Lauder continued. 'They found nothing wrong with it. The Government never condemned it, never said anything. This would not have happened any place in the Western world'."
(New York Times vom 9. Dezember 1987)

    Lauder vertrat schließlich die Ansicht, Carl Hödl wäre in keinem anderen Land der westlichen Welt nach der Öffentlichmachung des Briefes länger im Amt verblieben, was in Linz sehr wohl der Fall gewesen sei:

    "The deputy mayor of Linz would not have lasted 15 minutes any place in the Western world. He is still in office today."(New York Times vom 9. Dezember 1987) Lauders Haltung gegenüber den damaligen Vorgängen in Österreich, in erster Linie Bezug nehmend auf die Fälle Waldheim und Hödl, wird mit dem Ausdruck "Anguish" beschrieben - "Seelenqual".3



1 Der Brief ist zur Gänze in der Autobiographie des Linzer Vizebürgermeisters abgedruckt: Hödl 1990, S. 141 - 144



Hödl, Carl, Leben ist nicht Zufall. Ein Kaleidoskop mit bunten und lebendigen Bildern aus dem Leben eines Linzer Kommunalpolitikers, der seine Meinung immer offen vertreten hat, Linz 1990

New York Times vom 9. Oktober 1987, New York edition, section A, S. 4 (Vienna Journal, Kamm, Henry, A New Yorker's Anguish in the Land of Waldheim)